Samstag, 10. Mai 2014

Die Forschungsergebnisse zum Transformationscomic sind da!

Nun ist es soweit: der interne Abschlussbericht zum Forschungsprojekt über den Transformationscomic mit 68 Seiten Umfang (sowie 192 Seiten Anlagen) sind beim Hauptfinancier des Projekts, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung eingereicht worden. Die Ergebnisse sollen sukzessive publiziert werden. Eine Vorab-Übersichtspublikation ist gerade online geschaltet worden, hier können Sie schon die Einleitung und die Quintessenz lesen, sowie den gesamten Artikel aufrufen:

(aus: Leinfelder, R. (2014): Das WBGU-Transformations-Gutachten als Wissenschaftscomic: Ein Kommunikationsprojekt zu alternativen Wissenstransferansätzen für  komplexe Zukunftsthemen – Ergebnisübersicht.- 8 S., SciLogs – Der Anthropozäniker (Spektrum der Wissenschaft). 
http://www.scilogs.de/der-anthropozaeniker/trafocomicprojekt )

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Das WBGU-Transformations-Gutachten als Wissenschaftscomic:
Ein Kommunikationsprojekt zu alternativen Wissenstransferansätzen für  komplexe Zukunftsthemen – Die Ergebnisübersicht.

Reinhold R. Leinfelder, Berlin


Einleitung und Zielsetzung

Das Forschungsprojekt zum Thema „Das WBGU-Transformations-Gutachten als Wissenschaftscomic: Ein Kommunikationsprojekt zu alternativen Wissenstransferansätzen für komplexe Zukunftsthemen“ hatte zum Ziel, anhand der Inhalte des überaus gesellschaftsrelevanten Transformationsgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU 2011) zum ersten Mal ein wissenschaftliches Politikberatungsgutachten als Comic umzusetzen, um die wesentlichen Ergebnisse einem möglichst breiten Publikum zu kommunizieren.  Um die Inhalte des Gutachtens zu authentifizieren und Handlungsempfehlungen nachvollziehbar zu machen, setzten wir auf umfassende Personalisierung und konzipierten den Wissenschaftscomic als Set von graphischen Interviews, in denen die WBGU-Mitglieder zu „ihren“ Themen berichteten (Hamann et al. 2013). In einem zweiten Schritt sollte umfassende Begleitforschung zur Rezeption und Eignung dieses Buchs als Beispiel für alternative Wissenstransferansätze durchgeführt werden, um damit eine wissenschaftlich fundierte Einschätzung zum Potential von Sachcomics als neues Wissenstransfermedium für komplexe Sachverhalte bzw. Fragestellungen im Anthropozän zu ermöglichen.

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Abb. 3: Beantwortung der offenen Fragen in der anonymen Online-Umfrage. Positive Einschätzungen (Likert- Kategorien +, ++, +++) jeweils unterhalb der grünen Linie. Bei den beiden Fragen ganz rechts befinden sich wegen der indirekten Fragestellung die bzgl. des Buchs positiven Einschätzungen oberhalb der roten Linie. (Likert-Kategorien ---, --, -).

Die Quintessenz: Mission Accomplished?

 

Nicht nur Comics allgemein, sondern auch Sachcomics im Speziellen sind ein weites und noch nicht sehr gut erforschtes Feld, obwohl der Trend zur (Sach-)Comicforschung zunehmend ist (vgl. Dolle-Weinkauf 1990, McCloud 1993, Versaci 2001, Alves et al. 2007, Jacobs 2007, Yang 2008, Jüngst 2010, Hangartner et al. 2013, Mahrt et al. 2013). Jüngst (2010) empfiehlt, bei Sachthemen eindeutig erkennbare Genres einzuhalten, um den Leser bei seiner persönlichen Comicerfahrung abzuholen und nicht zu verwirren. Besonders komplexe Themen hält sie für nicht geeignet, um in Form von Sachcomics behandelt zu werden. In ihrer später vorgenommenen Bewertung des Transformationscomics hält Jüngst dieses Projekt jedoch dennoch für überaus geglückt (Jüngst 2013). Damit revidiert die ausgewiesene Sachcomic-Expertin in gewisser Weise ihre eigene frühere Einschätzung, da der Transformationscomic ja ein sehr komplexes Thema behandelt. Um diese hohe Komplexität übersichtlich zu gestalten,  war es also auch rückwirkend betrachtet sehr sinnvoll, die generelle Gliederung des zugrundeliegenden Gutachtens zu durchbrechen und strikt in historische Einleitung, ein Übersichtskapitel, die Problemanalyse-Kapitel, ein Mutmacher-Kapitel, und mehrere Lösungsansatz-Kapitel (Technologie, Globale Kooperation, Finanzierung, Politik) sowie ein finales, gesellschaftliches Involvementkapitel klar zu differenzieren. Einige Leser bzw. Testpersonen vermissten allerdings comic-typischere Narrative. Auch die Personalisierung und die Authentifizierung erscheinen geglückt, wenn auch einige wenige Befragte dies anders sahen. Insgesamt zeigen alle Umfrageergebnisse und Diskussionen nicht nur mit Lesern, sondern auch mit Wissenschaftlern und Comic-Spezialisten, dass hier Meinungen und Einschätzungen doch sehr weit divergieren können. So sind viele von den geschilderten Arbeitsumgebungen der Protagonisten angetan, einige halten dies für eher langweilig. Die Illustrationen und Umsetzungen der Infografiken halten viele für sehr gelungen, einige wenige kritisieren sie. Emotionale Zugänge sind vorhanden, etliche finden sie zu gering entwickelt, anderen sind sie bereits zu stark und damit manipulativen Charakters. Die meisten halten die Verkürzung der Texte auf Sprechblasen und kurze Kastentexte für gelungen und beurteilen die Texte als sachlich, jedoch gut verständlich. Manchen sind sie zu komplex, einigen zu langweilig.

Da kein Buch, sei es Sachbuch oder Prosa nur Gefallen finden kann und da bei grafischen Formaten die Meinungen gerne noch weiter auseinandergehen, ist wegen der doch deutlich überwiegend positiven Kritik und Einschätzung aller befragten, rezensierenden oder wissenschaftlich (etwa im Rahmen von Masterarbeiten) daran arbeitenden Personen das Projekt aus unserer Sicht als insgesamt sehr erfolgreich anzusehen. Ein Vorbehalt gilt jedoch weiterhin. Auch insgesamt sehr positiv einschätzende Personen, wie etwa die Studierenden der Geographie oder die am Projektunterricht beteiligten Schüler sahen die Inhalte zwar richtig und verständlich wiedergegeben, die Lektüre zum Denken anregend und Mut auf Beteiligung machend. Dennoch meinten etliche dieser Personen bei entsprechenden Fragen auch, dass Comics allgemein zu „flach“ oder zu „unseriös“ seien, was die Geschichte der Sachcomics sowie ihre aktuelle Vielfalt verkennt und wohl teilweise deutschlandspezifisch ist, da Deutschland etwa im Unterschied zu den USA, Frankreich oder Japan über eine nur mäßig ausgeprägte Comic-Kultur verfügt. Obwohl Jüngst (2013) meint, der Transformationscomic „widerlegt sehr schön die ad nauseam wiedergekäute These, dass Comics Analphabetenliteratur seien“, sitzt das entsprechende Vorurteil dennoch weiterhin bei vielen weiterhin tief. Gefördert werden kann der Eindruck auch dadurch, dass etliche sehr interessante Sachcomics, etwa zum Thema Plastikmüll in den Ozeanen zwar künstlerisch wertvoll sind und auch konkrete hilfreiche Problembeschreibungen liefern, jedoch hohe Anteile an fiktionalen Elementen beinhalten, in dem sie etwa „echte“ Superheroes (z.B. Harris & Morazzo 2013) oder fiktionale Technologien wie die eines auf Plastik spezialisierten Magneten, welcher Plastik aus dem Meer ziehen kann, darstellen (Klobouk 2012).
Darüber hinaus erinnern sich die meisten Leser an viele fiktionale klassische Unterhaltungscomics, in denen Wissenschaftsintegration ohne Wahrheitsanspruch verwendet wurde oder wird. Zu nennen wären hier etwa Daniel Düsentrieb aus den Donald Duck-Comics, Superman, Batman und ähnliche Superheldengeschichten, aber auch das gesamte Science-Fiction Comic Genre.
In diesem Kontext - und unterstützt durch alle erarbeiteten Ergebnisse - sind wir in Anlehnung, aber auch Modifikation der Thesen von Jüngst (2010) sowie der Kriterien zur Erstellung journalistischer Comics von Plank (2013) der mit diesem Projekt begründeten Ansicht, dass die Vermittlung komplexer, zukunftsrelevanter Wissenschaftsthemen in Verbindung mit transdisziplinären Elementen, wie Handlungsempfehlungen, darunter auch Empfehlungen zur Werteveränderung gelingen kann, wenn
  • fiktionale Elemente vermieden bzw. bestenfalls als Gimmicks oder sich eher zurücknehmende Sidekicks verwendet werden,
  • die Ansprüche an Authentizität und Dokumentation ähnlich hoch wie bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen und mindestens so hoch, wenn nicht höher als bei sehr gut recherchierten klassischen Medienartikeln sind,
  • die Texte dennoch leicht verständlich, jedoch nicht simplifizierend sind,
  • die Illustrationen ästhetisch, aber auch leicht erkennbar, mit einer klaren Tendenz zu realitätsnahen Darstellungen gestaltet werden,
  • Text und Bildsequenzen sich in geeigneten Fällen zwar komplementär verhalten können, gerade bei schwierigen Passagen sich jedoch eher gegenseitig stützend, also verstärkend verhalten sollten,
  • bei komplexen Sachcomics emotionale Elemente sowohl in Wort als insbesondere auch im Bild zwar verwendet werden sollten, insgesamt jedoch eher zurückhaltend einzusetzen sind,
  • der Leser nicht mit einer Situationsanalyse allein zurückgelassen wird, sondern konkrete Handlungsoptionen zumindest diskutiert werden und sich der Leser hierbei einbezogen fühlt.
Insgesamt kann auch aufgrund unserer Untersuchungen angenommen werden, dass die Behandlung komplexer Zukunftsthemen komplexes, vielschichtiges Lernen in der Schule befördern, sofern ein geeignetes Medium, wie etwa ein dem Transformationscomic entsprechender Sachcomic als Ausgangsmaterial verwendet wird. Nach Yang (2003) und weiteren Autoren ergeben sich gerade durch (Sach-) Comics Vorteile für die Bildung und Wissenskommunikation. So sind Comics
  • motivierend: positiver Zugang, Bildsprache ggf. tief im Menschen verwurzelt (Beispiele Trajansäule, Teppich von Bayeux, Altamira etc.)
  • visualisierend: „puts a human face on a given subject“ (Versaci 2001), baut eine persönliche, emotionale Verbindung zwischen Leser und Charakteren eines 
Comics. Erleichtert das Lesen uvm.
  • permanent: im Unterschied zu Film gibt der Leser die Geschwindigkeit des Vorankommens vor, hat Vor- und Rückschaumöglichkeiten, verordnet Zeit räumlich (McCloud 1993), „slow media“
  • intermediär: vermittelt zwischen Text und Bild, zwischen verschiedenen Disziplinen und Konzepten (z.B. Versaci 2001)
  • populär: überbrückt die Kluft zwischen Leben innerhalb und außerhalb der Schule (Morrison et al. 2002), erlaubt Schülern das Studium aktueller Lebensstile, Mythen und Werte (Brocka 1979)
Im Schulunterricht geht es um den Erwerb vielfältiger Kompetenzen, wie Kulturfähigkeiten (z.B. Schreiben, Lesen, Rechnen), Information (z.B. Verfügungswissen, Bildungswissen), handwerklichem Können (z.B. Spielen von Musikinstrumenten), sozialen Umgangsformen (z.B. sprachlicher Auseinandersetzung), aber auch von gefühlsmäßigen Einstellungen, grundsätzlichen Haltungen, Werten, Ich-Bewusstsein, Identität und Selbstwirksamkeit. Wir postulieren, dass die Behandlung des Transformationsthemas im Unterricht mit Hilfe des Transformationscomics sowie der Lehrerhandreichungen (insb. bei Verwendung der Design-Thinking-Methode, Plattner et al. 2009, Zea-Schmidt & Hamann 2013) den Erwerb multimodaler Fähigkeiten insgesamt unterstützen kann (vgl. auch Jacobs 2007). So könnten Kulturfähigkeiten etwa durch das Üben vom Umgang mit Visionen und Wahrscheinlichkeiten, Informationsfähigkeiten durch Einüben von vernetztem Wissen, handwerkliches Können durch gestalterische Fähigkeiten aus dem Projektunterricht und soziale, emotionale und normative Fähigkeiten durch eigene empirische Datenerfassung (z.B. in Interviews oder partizipativen Projekten), Rollenspiele, Entwicklung von Prototypen sowie Umsetzung von Projekten basierend auf dem Transformationscomic entwickelt und erweitert werden.

Das Projektteam:
Prof. Dr. Reinhold Leinfelder (Projektleitung), Alexandra Hamann, Claudia Zea-Schmidt; die Illustratoren Jörg Hartmann, Jörg Hülsmann, Iris Ugurel, Robert Nippoldt, Christine Goppel, Astrid Nippoldt; alle WBGU-Beiräte der 5. Berufungsperiode (1.11.2008-28.2.2013); Dr. Hauke Hellwig, Anneli Rost, die Masterarbeitsautoren Susanne Knorr, Robert Koch, Robert Reile; die Referendare Nicola Leu, Steffen Sladek, sowie viele weitere Beteiligte (siehe Leinfelder 2014).
Das Projekt wurde mit finanzieller Unterstützung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Freie Universität Berlin durchgeführt. Die Erstellung der Lehrerhandreichungen wurde durch finanzielle Unterstützung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft des Landes Berlins ermöglicht.
© R. Leinfelder 2014

 Den ganzen Artikel lesen (incl. der Kapitel Disseminationswege, Forschungsmethodik, Zusammenfassung der Ergebnisse und Empfehlungen,  Literaturverzeichnis sowie 6 Abbildungen):